Homosexuell und fromm?

togetherIn den letzten Monaten erhielt ich mehrere Impulse, die mich zum Nachdenken über obiges Thema anregten. Der stärkste dieser Impulse kam wohl aus einem Artikel, auf den ich durch einen Facebook-Freund gestossen bin. Das Teil ist ziemlich lang und leider nur auf englisch erhältlich — aber die Lektüre lohnt sich trotzdem, …sehr. Es erzählt darin ein junger Mann, der in Amerika an einer frommen — oder genauer: ultrafrommen — Universität Theologie studierte. Dieser junge Mann entdeckte, dass er schwul war, was weder seinen eigenen noch den Wertvorstellungen seines Umfeldes entsprach. Im Artikel beschreibt er, wie er selber und seine Mitmenschen damit umgingen. Er stellte erstaunt fest, wie viel Liebe und wohlwollende Unterstützung ihm auch von sehr wertekonservativen Leuten entgegengebracht wurde. (Und nebenbei bemerkt: Er bedaurt, dass immer nur von „Homophobie“ die Rede sei, nie aber von „Homophobiephobie“…).

Der Artikel zeigt eindrücklich die ganz menschlichen Bedürfnisse nach Liebe und Anerkennung, die, logo, auch ein homosexueller Mensch kennt. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich in diesem Artikel erstmals einen Homosexuellen auch einfach als Mensch wahrnahm, nicht als Vertreter einer lobbyerenden Interessengruppe. Und müsste das nicht für alle Christusnachfolger eigentlich die allererste Art sein, wie wir unsere Menschen wahrnehmen, egal welcher Partei, Gruppierung, Rasse sie angehören?! …und auch egal, welche sexuelle Orientierung sie haben?

Natürlich (?), auch mich stört die zuweilen übertriebene Sexualisierung, die im Umfeld von Homosexuellen oft zutage tritt. Ich finde es schräg, wenn die sexuelle Orientierung — egal welcher Art — als primäres Wesensmerkmal eines Menschen in Erscheinung tritt. Auch wo Homosexualität und hohe Promisquität Hand in Hand gehen, ist ein Lebensstil meines Erachtens ganz grundlegend aus den Fugen geraten.

Weitere Impulse waren übrigens ein paar Blogeinträge einer Arbeitskollegin (auf französisch und weiter unten auch englisch, inkl. Literaturhinweise) und ein Blogartikel eines schweizer Pastors, über den ich kürzlich gestolpert bin. Es kamen noch andere Begebenheiten hinzu, die entweder nicht an die Öffentlichkeit gehören oder zu trivial sind — aber insgesamt stelle ich verwundert fest, dass sich meine Einstellung zusehends von unreflektiert-dogmatisch-kategorisch-ablehnend zu einer Sicht hin öffnet, die weniger in Kategorien denkt (homo vs. hetero) sondern den Menschen sieht. Und ich merke, wie mich das die zahlreichen medialen Mitteilungen anders hören lässt, die zu diesem Thema publiziert werden: Ich mache nicht a priori auf Abwehr und Verurteilung.

Und ich beginne zu ahnen, dass Jesus wohl auch so handeln würde.

Dann stiess ich kürzlich noch auf dieses Video: ein Gespräch zwischen Rob Bell und Andrew Wilson. Von Bell habe ich schon mal gehört, von Wilson noch nie. Beides scheinen Pastoren zu sein, die recht intensive Kontakte mit Homosexuellen pflegen. Im grundsätzlich konstruktiven Gespräch fragt Wilson, ob Bell sexuelle Aktivität zwischen Gleichgeschlechtlichen als biblisch legitim erachte oder nicht. „Ist es in Gottes Augen okay, dass…“. Bell windet sich mit der Antwort. Vielleicht ist dieses Ausweichen, dieses Lavieren symptomatisch bei diesem Thema? Es ist jedenfalls bedauernswert und für diese Art von Diskussion, welche die Bibel ernst nehmen will, wenig förderlich. — Wer sich für die Thematik interessiert, zwanzig Minuten Zeit hat und Englisch kann, sollte sich dieses Video anschauen!

© Bildmaterial © Markus Schieder – Fotolia.com

7 000 000 000 – und keine Ende in Sicht

Die NZZ am Sonntag wird nicht die einzige Zeitung sein, in der die Ankunft des Siebenmilliardsten Erdenbürgers heute Montag angekündigt wird (s. hier). Der globale Bevölkerungszuwachs ist ein Megaproblem und wird es in Zukunft noch mehr werden (vor Jahren erzählte mir ein deutscher Entwicklungshelfer schockiert von einer Diskussion unter Regierungsvertretern, welche HIV/AIDS als willkommenen Beitrag zur Reduktion der Weltbevölkerung bezeichneten; Zynismus pur…!).
In der NZZaS wird in einem Artikel kurz diskutiert, welche Faktoren das Bevölkerungswachstum nachweislich eindämmt. Der zweitgenannte Faktor ist für mich neu: In Brasilien soll eine TV-Serie Frauen zu weniger Kinder motiviert haben, weil ihnen am Fernseher ein kinderarmer Lebensstil gezeigt wurde, den sie gerne nachahmen möchten. „In gewissen Ländern“, so ein Experte, „können auch Medien eine Bildungsfunktion übernehmen.“
Der erstgenannte Faktor überrascht nicht und hat ebenfalls mit Frauen und Bildung zu tun: Je gebildeter die Frauen sind, desto weniger Kinder wollen sie, weil „sich gebildete Frauen stets für weniger, dafür gut ausgebildete statt für viele Kinder entscheiden.“ Es gibt sogar einen expliziten Zusammenhang zwischen Alphabetisierungsrate einerseits und Rückgang der Geburtenrate anderseits. – Jetzt müssen die entscheidenden Stellen nur noch besser begreifen, dass Alphabetisierung nachweislich am besten in der Muttersprache geschieht…

Zu sehr mit uns selber beschäftigt?

Frage: Im Gegensatz zu Trendkirchen wachsen die meisten traditionellen Freikirchen kaum. Warum?
Antwort von Fritz Peyer (Rektor IGW International): Ein Grund liegt darin, dass viele Gemeinden ihren Auftrag, ihre Mission verpasst haben. Sie sind Kirche für sich und nicht Kirche für andere. Ein zweiter Grund ist sicher, dass sie nicht bereit sind, Fragen von heute theologisch neu zu überdenken und neu zu verkündigen.
(So gelesen in idea vom 14.9.11).

Es ist natürlich leicht, die Kirche(n) zu kritisieren, und Peyer bezeugt an anderer Stelle seine Solidarität zur Kirche deutlich genug. Auch ich weiss mich mit der Kirche verbunden, bin ein Teil von ihr – kritisiere mich also selber, wenn ich Dinge in Frage stelle. Und ich stimme Peyers Aussage grundsätzlich zu. Wir Frommen haben kaum Anschluss an die Gesellschaft; wir haben keine Antworten, weil wir die Fragen nicht kennen oder weil wir zu wenig durchdacht haben, welche Alternativen („Gegenkultur“) wir eigentlich leben sollten; wir sind zu sehr nach innen gerichtet, mit uns selber beschäftigt, wo wir auch nach aussen schauen sollten. — Mögen wir alle fleissig dazu lernen!

Wie säkular sind wir eigentlich?

Wir seien ja scheints eine säkulare Gesellschaft. Die Aufklärung spätestens habe eine Lawine losgetreten, die das Religiöse und Übernatürliche schonungslos als das enttarnte, was es sei: Einbildung. — Und da liest man anderseits in der renommierten NZZ dies und staunt, dass das Übernatürliche offenbar doch nicht gänzlich weggefegt wurde…

Ein Mitarbeiter von Wycliffe hat mich auf diesen Artikel hingewiesen mit dem einleitenden Zitat (von unbekannt):

Die Leute glauben nicht immer, was sie bekennen, aber sie verhalten sich immer entsprechend ihrem Glauben.

Norwegens Massaker: Von einem „gläubigen Christen“ verübt…

Der geständige Täter, kaltblütiger Mörder von 90 Menschen, wird als „gläubiger Christ“ bezeichnet. Seine Tat hat ganz offensichtlich nichts mit dem zu tun, wie Jesus seine Jünger handeln haben möchte. Wir haben es also mit einer abrgrundtiefen Diskrepanz zwischen Lehrinhalt einerseits und Handlung anderseits zu tun. Das ist natürlich gefundenes Fressen für all jene, die im christlichen Glauben sowieso etwas Schädliches sehen, die gerne von „ekklesiogener Neurose“ sprechen und rasch darauf hinweisen, dass in fundamentalistischen Kreisen – auch christlichen – Missbrauch betrieben wird. „Da sieht man’s mal wieder, wie abscheulich diese Leute im Grunde sind, wie heuchlerisch. Religion gehört abgeschafft!“

Nun, diese Tat ist in der Tat abscheulich und kann durch nichts gerechtfertigt werden. Aber diese Art von Argumentation ist dennoch ein Trugschluss:

  • Niemand weiss, wie der Täter wäre, wenn er nicht in den Einflussbereich der Kirche gekommen wäre. Nur weil einer im Kreise der Kirche in die Irre geht, kann man doch nicht die ganze Institution abschreiben – auch wenn dieser eine durch ein falsches (!) Verständnis ihrer Lehrinhalte vielleicht zusätzlich fehlgeleitet wurde. In jeder Organisation gibt es Menschen, die auf Irrwege kommen.
  • Niemand weiss, welchen anderen, u.U. noch prägenderen Einflüssen, er ausgesetzt war. Man kann seine Fehlprägung nicht automatisch und nicht grundsätzlich seinem Glauben zuschreiben.
  • Es gilt zu bedenken: Die Gemeinde ist ein Ort für Randständige, für Gescheiterte, für solche, die ihr Leben nicht selber im Griff haben. Jesus selber sagt, er sei als Arzt für die Kranken gekommen. Insofern ist es nicht weiter verwunderlich, wenn man in der Gemeinde überdurchschnittlich viele Menschen antrifft, die krank sind – eben solche, die einen Arzt nötig haben und sich dessen vielleicht schneller bewusst werden, als die Starken. Das liegt in der Natur der Sache und spricht eher für als gegen die Gemeinde. Es ist natürlich zu hoffen, dass ihnen die Gemeinde gut tut und sie in ihrem Einflussbereich heilend und hilfreich geprägt werden (s. den ersten Punkt).

Also, bitte keine schnellen Aburteilungen.