Kulturen zerstören, Sprachen retten

Vor wenigen Tagen erschien auf IDEA ein Interview, das ich zum Thema Kulturzerstörung gab. Der abgedruckte Text ist leider etwas grobschlächtig, weil ich ihn unter Zeitdruck editiert habe. Aber das Thema ist wichtig und interessant. Es amüsiert mich irgendwo, dass Missionsorganisationen pauschal als Kulturzerstörer abgetan werden – frei nach dem Motto: „Gehet hin in alle Welt und zerstört die Kulturen“ (ein Thema, zu dem ich einen Vortrag anzubieten hätte :-)).

Soeben habe ich einen anderen Artikel gelesen, der in diesem Zusammenhang auch von Bedeutung ist: Languages: Why we must save dying tongues. Hier wird überzeugend dargelegt, weshalb es schade ist, wenn Sprachen sterben. Mit jeder ausgelöschten Sprache verliert die Menschheit viel Wissen; verliert eine bestimmte Art, die Welt zu sehen und zu verstehen; verliert eine weitere Möglichkeit, Gedanken, Gefühle, Argumente in Wörter und Sätze zu fassen.
Das scheint zurzeit ein Modethema zu sein, denn es ist dazu erst kürzlich ein Buch erschienen: „Wenn Sprachen sterben – und was wir mit ihnen verlieren“ und ein Artikel, der das Buch bespricht.

Der Zusammenhang zwischen diesen beiden Artikeln ist dieser: Wycliffe leistet einen grossen Beitrag dazu, dass Sprachen nicht sterben oder dass sie wenigstens vorher noch dokumentiert werden. – Kulturzerstörung? Ich empfehle den Kritikern, die Tatsachen besser zu studieren.

 

Lob der Unsicherheit

Als ich mich vor ein paaar Wochen im Schweizer Fernseher sah, war ich positiv überrascht – nicht von dem, was ich sagte, sondern von der Auswahl, welche die Journalistin aus einem längeren Interview zusammen stellte. Bei der Sendung ging es um die unerfreulichen Ereignisse, die in den 70er-Jahren in Bolivien stattfanden (eine Transkription meiner Statements befindet sich unten).

Im Anschluss an die Sendung wurde die Website von Wycliffe sehr rege benutzt. Die bei uns direkt eingegangenen Rückmeldungen haben mir teils sehr zu denken gegeben. Aus allen Lagern erlaubt sich ein nur oberflächlich und einseitig informiertes Publikum harte Urteile: sämtliche Mitarbeitende, die damals in Bolivien gearbeitet hatten, waren Schurken; Wycliffe gehörte geschlossen; die Leute, welche die Vorfälle untersucht haben, waren Heuchler; den Eltern wird Schlimmes unterstellt; das Opfer wird als unglaubwürdig abgekanzelt.

Es beunruhigt mich, wie schnell Leute abgeschossen werden. Es ist beängstigend, wie schnell mediale Information zu gesichertem Wissen wird, daraus sichere Urteile abgeleitet werden, die dann in zielführenden Ratschlägen münden: Die Betroffenen hätte halt nur ___ machen müssen, und wenn man jetzt (endlich!) ___ täte, dann wäre für Recht gesorgt. Die Eltern, die Opfer, alle könnten mit wenigen Worten und einfachen Handlungen die ganze Sache retten. Dabei sind alle Handelnden entweder nur gut oder nur böse, nur Täter oder nur Opfer, es gibt keine Grauzonen, es gibt keine offenen Fragen.

Und was mich dabei erstaunt und betrübt: die gleiche Voreingenommenheit findet man bei den Frommen wie bei den Kritikern derselben – es ist im Grunde der genau gleiche Fundamentalismus, der mit Unsicherheiten und offenen Fragen nicht umgehen kann, sondern für alle und alles eine abschliessende Erklärung bereit hält. Für jedes Phänomen und für jeden Menschen braucht es eine eindeutige Kategorie, und wenn eine Zuweisung geschehen ist, kann sie nicht mehr in Frage gestellt werden.

Ich ticke da mit Überzeugung (…) anders: Ich will offene Fragen als solche stehen lassen; ich will Menschen in ihrer Komplexität und teilweise auch Widersprüchlichkeit wahrnehmen – denn ich selber bin ja auch widersprüchlich und möchte nicht auf eine einzige Dimension reduziert werden. Und dass ich im Film gerade für diese Überzeugung einstehen durfte, das freut mich. – Hier also meine im Film geäusserten Gedanken:

Ich möchte den Opfern sagen, dass uns sehr leid tut, was in Tumi Chucua geschehen ist. Es ist lange her, aber die daraus entstandenen Wunden sind tief und schmerzhaft. Wir sind erschüttert, dass dies in unseren Kreisen geschehen ist.

Von wie vielen Opfern wissen Sie?
Ich weiss von 18, aber persönlich kenne ich nur Christina Krüsi.

Können Sie verstehen, dass Christina Krüsi diesen Weg mit dem Buch gewählt hat, dass sie das öffentlich gemacht hat?
Es gibt Aspekte, zu denen ich sagen muss, es ist gut, dass das an die Öffentlichkeit gelangt. Im Gespräch mit Leuten, die auf mich zukommen, merke ich auch, dass doch noch einiges an Naivität vorhanden ist im Zusammenhang mit sexuellen Übergriffen. Dieses Buch trägt dazu bei, dass man mehr darüber redet, und das finde ich gut.
Dass Gott dafür gebraucht wird, um diesen Kindern Angst einzujagen… das ist eine Katastrophe. Das zeigt, wie pervers diese Leute waren.
Dass da ein Gott war, der dies alles mitgesehen und mitbekommen hat, das löst bei mir sehr viele Fragen aus, die ich nicht beantworten kann.
Christina Krüsis Eltern haben einen Artikel geschrieben für unser Magazin, der den Titel „Dennoch“ trägt. Und das muss ich auch sagen, „dennoch“… auch mit diesen Fragen, die ich an Gott habe,… dennoch bin ich mit Gott unterwegs. Ich werfe deswegen den Glauben nicht aus dem Fenster. Aber es gibt da Fragen, die ich nicht beantworten kann – störende Fragen.

Meine Statements kann man Original von 12’05“-14’24“ anschauen.
Foto: http://talkmarketing.co.uk

Offenbar ist Mission gar nicht so schädlich…

Ein amerikanischer Soziologe musste angesichts eindeutiger Daten über den Schatten seiner Vorurteile springen und stellte fest:

«Gebiete, wo protestantische Missionare in der Vergangenheit eine bedeutende Arbeit taten, sind im Durchschnitt heute wirtschaftlich besser entwickelt, mit besserer Gesundheit, niedrigerer Kindersterblichkeit, weniger Korruption, mehr Alphabetisierung, höherer Durschnittsbildung (vor allem für Frauen) und mehr Engagement in Nicht-Regierungsorganisationen.»

Das finde ich bemerkenswert und erfreulich. – Es lohnt sich, den ganzen Artikel dazu zu lesen.

Foto: Livenet.ch

Gott tut Grosses — auch wenn es uns vielleicht befremdet…

In den vergangenen Wochen hatte ich gleich zwei Begegnungen mit Leuten, die Kontakt haben mit sog. „Insider Movements“. Ich habe mich bisher noch nie vertieft damit auseinander gesetzt, und so kann ich hier keine abschliessende Definition anbieten. Soviel scheint mir aber klar: Insider Movements sind Bewegungen von Menschen, die aus anderen Religionen (z.B. Islam, Buddhismus) zum Glauben an Christus gefunden haben und die in mancher Hinsicht ihrer Ursprungskultur und ihrem Umfeld treu bleiben. Äusserlich mögen sie also noch zu den selben Zeiten und mit den gleichen Ritualen beten, sie mögennoch die gleichen Kleider tragen wie vorher, usw. Für manche Christen aus dem Westen fällt es schwer, diese Menschen als Glaubensgeschwistern anzuerkennen. Für andere – so z.B. meine Gesprächspartner – liegt in den Insider Movements eine riesige Hoffnung. Denn die Menschen, die sich von ihrer Herkunft total absagen, können die Menschen dort auch nicht mehr gut erreichen.

(Natürlich ist es eine Gratwanderung zu wissen, wo man beim Alten noch mitmachen kann, und wo eine radikale Absage sein muss. Tendenziell würde ich vermuten, das wir im Westen zu viel Absage fordern, nur weil uns gewisse Elemente der traditionellen Kultur unverständlich sind und somit falsch erscheinen.)

Eine Mitarbeiterin von Wycliffe Schweiz erzählte uns von ihrer Arbeit mit einem Insider Movement. Für die beteroffene Volksgruppe zerbrachen sich vor Jahrzehnten westliche Missionare den Kopf, wie man sie mit dem Evangelium erreichen könnte. Aber die äusseren Lebensbedingungen dieser Menschen machten es sozusagen unmöglich, dass sich jemand von aussen anhaltend mit ihnen abgeben konnte. Bestimmt wurde aber viel für sie gebetet. Und vor etwa dreissig Jahren hatten mehrere Leute aus dieser Volksgruppe Träume, in denen ihnen Jesus erschien. Er sagte u.a., dass er der wahre Prophet sei. Sie forschten danach in ihren heiligen Schriften, und mit Hilfe von anderen Träumen und Visionen konnten sie sich langsam auf einen neuen Weg mit Jesus einlassen.

Jesus sagte ihnen auch, dass Gott Mann und Frau in seinem Ebenbild geschaffen hätte — dass sie also gleichwertig seien. Das war extrem wichtig als Vorbereitung für eine von Gott eingefädelte Begegnung mit unserer Mitarbeiterin. Im Gespräch mit ihr wurde die Frage gestellt, ob sie etwas von einem heiligen Buch wüsste, das in ihrere Sprache erhältlich sei. Tatsächlich gab es das Neue Testament, das in einem Nachbarland bereits übersetzt wurde.

Es folgte eine Beziehung, in der unsere Mitarbeiterin mit diesen Menschen die Bibel lesen konnte. Das war äusserst hilfreich, denn sie wollten von niemandem etwas lernen, sondern sie wollten „von Jesus direkt“ hören.

Unsere Mitarbeiterin hatte selber manches zu lernen. Zum Beispiel ist das Kollektiv in dieser Gruppe wichtiger als das Individuum. Sie sagen: „Wir glauben“; es kommt nicht sehr darauf an, was der oder die Einzelne glaubt. Aber gemeinsam folgen sie Jesus, auch wenn eine Einzelperson im einen oder anderen Punkt vielleicht erst sehr wenig vom Evangelium begriffen hat.

Der Umgang zwischen den Geschlechter hat sich aufgrund der o.g. Vision stark geändert. Traditionell haben Männer und Frauen kaum etwas miteinander zu tun. Als aber in einer Leselernklasse die Männer wesentlich schneller vorwärts kamen und unsere Mitarbeiterin die Frage stellte, ob man nicht zwei getrennte Klassen machen wolle, wurde der Vorschlag aufs vehementeste verworfen. Solche Trennungen hätte man früher gemacht, heute aber nicht mehr.

Unsere Mitarbeiterin erzählte ziemlich lange von ihren Erfahrungen mit dieser Bewegung — und wir anderen waren tief bewegt vom starken Eindruck, dass Gott hier — weit ab vom öffentlichen Interesse — wirklich Grosses tut.

(Foto: http://anindianchristian.blogspot.ch)

Was ist Mission?

Am Samstag unterrichtete ich an unserer Gemeindebibelschule das Fach Missiologie. An zwei Morgen versuche ich, den Studierenden einen kleinen Einblick in dieses grundlegende und facettenreiche Thema zu geben. Am Samstag stellte ich eine mögliche Definition von Mission zur Diskussion (ein schöner Satz :-)):

 

Mission ist die Ausweitung und Vertiefung der Gemeinschaft, welche der dreieine Gott in sich hat. In der Mission lädt Gott, der schon immer da war, in diese Gemeinschaft ein, indem er Versöhnung schafft und die Menschen in eine Gemeinschaft der Anbetung zusammen führt.

Ich fragte, wie das zu ergänzen oder zu korrigieren wäre.

Jemand war sehr erstaunt, denn bei Mission gehe es doch einfach darum, Menschen das Evangelium zu erklären und zwar so, dass sie sich nachher bekehrten. Alles Andere und alles Weitere sei nicht gefragt.
Eine andere Studentin war nicht ganz einverstanden. Bei einer Ehe sei ja die Hochzeit auch nicht das Wesentlichste, sondern das gemeinsame Leben danach.

Ein wahrlich treffender Vergleich!